Egon Eiermann steht für das Bauen in der jungen Bundesrepublik. Mit seinen Bauten in Washington und auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel gab er der deutschen Architektur auch im Ausland ein neues Gesicht. Die Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche ist eines der bedeutendsten Kirchenensembles in Deutschland und gilt als ein Hauptwerk Egon Eiermanns (*1904, † 1970). Seit der Einweihung im Jahr des Mauerbaus 1961 ist sie ein Symbol West-Berlins. Die Einzelgebäude Kirche, Glockenturm, Foyer und Kapelle sind Stahlskelettbauten, ausgefacht mit Betonfertigteilen (Waben), die auf einem Podium erhöht über dem Breitscheidplatz stehen. Durch die Verbindung von Neubauten und Ruine der 1943 durch Fliegerbomben zerstörten alten Gedächtniskirche ist der Gebäudekomplex auch heute ein eindrückliches Mahnmal des Zweiten Weltkriegs. Er bildet ein ideelles Ensemble mit der 1940 durch Luftangriffe zerstörten Kathedrale von Coventry in England, deren Ruine 1962 ebenfalls durch Neubauten ergänzt wurde.
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche von Egon Eiermann in Berlin
Typ
Themengebiet
Projektlaufzeit
Kapelle 2013-2017
Glockenturm seit 2018
Eigentümer | Nutzer
Projektbeteiligte
Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche-Berlin: Pfarrerin Dr. Sarah-Magdalena Kingreen, Pfarrer i. R. Martin Germer, Ingeborg Burgert
Denkmalprojekt:
adb Steffen Obermann Büro für Architektur, Denkmalpflege und Bauforschung, Berlin: Steffen Obermann, Svenja Abraham; Bundesanstalt für Materialkunde BAM, Berlin: Dr. Hans-Carsten Kühne; GSE Ingenieur-Gesellschaft, Enseleit und Partner, Berlin: Sven Pöhner; BNP Betontechnik, Potsdam: Manuel Vöge; Glasmalerei Peters GmbH, Paderborn: Christoph Sanders; am restore Antony & von zur Mühlen, Berlin: Inga Antony, Konstanze von zur Mühlen (Restaurierung Beton)
Denkmalbehörden:
Landesdenkmalamt Berlin: Dr. Christopher Rauhut, Dr. Ruth Klawun, Dr. Katja Laudel, Dr. Matthias Dunger; Untere Denkmalschutzbehörde Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf: Marcel Kümmritz
Standort
Betonwaben und Dickgläser
Die Betonwaben sind für jedes Gebäude individuell gestaltet. Die bunten Dickgläser, mit denen die Waben von Kirche, Kapelle und Turm ausgefacht sind, stammen aus der renommierten Glaswerkstatt Gabriel Loire in Chartres. Das bauliche Hauptproblem des Ensembles liegt in der sehr geringen Betonüberdeckung der Waben, die dazu führt, dass ihre innere Eisenbewehrung korrodiert und den Beton abplatzen lässt. Ähnliches gilt für die bewehrten Dickgläser. Beides zusammen macht das Ensemble seit seiner Erbauung zum Dauerpatienten mit bereits dramatischen Substanzverlusten und häufig notwendigen, kostenintensiven Reparaturen.
Zur Erhaltung dieses für die Bundesrepublik so bedeutenden Denkmals haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, beispielhafte Handlungswege für den künftigen Umgang mit den Betonwaben und Dickgläsern des Gebäudeensembles zu finden und aufzuzeigen. Ziel der Sanierung ist es, das Erscheinungsbild und das Konstruktionsprinzip des Ensembles zu erhalten und gleichzeitig den wirtschaftlich unvertretbar kurzen Instandsetzungszyklus deutlich zu verlängern, damit die Gedächtniskirche dauerhaft erhalten werden kann.
Glockenturm
Nachdem die Wüstenrot Stiftung bereits das Kapellengebäude instand gesetzt hat (2013 – 2017), bestand ihr Beitrag zur notwendigen Sanierung der weiteren Ensembleteile im praktischen Ausprobieren der planerischen Sanierungs- und Reparaturideen der Architekten adb Steffen Obermann Büro für Architektur, Denkmalpflege und Bauforschung, Berlin. Diese beinhalteten u. a. die wissenschaftlich fundierte Konzeption und praktische Rekonstruktion einer kompletten Betonwabe des Glockenturms einschließlich der probeweisen Sanierung der Dickgläser. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sind Grundlage für die Maßnahmen, die – zuerst am Glockenturm – ab 2026 durchgeführt werden sollen. Auch diese werden von der Wüstenrot Stiftung unterstützt.
Die oberen Waben des Glockenturms sind die filigransten des Ensembles mit den schlimmsten Schäden. Sie verfügen über ca. 5.100 blau-bunte Dickglasfenster. Um den Erhalt der Gläser zu ermöglichen und damit das blaue Licht als das wesentliche Element des Denkmals zu erhalten, wurden Herstellungsprozess, Materialen und die daraus resultierenden Schadensverläufe intensiv erforscht und in musterhaften Restaurierungen erprobt.
Architekten der Kapellen-Instandsetzung waren adb | Ewerien und Obermann aus Berlin. Die Stahlkonstruktion der Kapelle wurde in einer extrem aufwendigen luftdichten Einhausung des gesamten Gebäudes von Korrosion und schadstoffhaltigen Anstrichen befreit. Der Stahl erhielt eine neue Beschichtung und seine ursprüngliche mattschwarze Erscheinung zurück.
Betonwaben
Egon Eiermann verwendete für die Betonwaben den damals noch sehr jungen Baustoff Dyckerhoff Weißzement und mischte weißen Quarzbruch bei. Ziel der Instandsetzung war es, den besonderen Charakter dieses Waschbetons wieder zur Geltung zu bringen. Bei der Ergänzung von Fehlstellen bildeten Restauratoren dazu die körnige Waschbetonoberfläche minutiös nach und passten sie in den Bestand ein. Der prägnante Kontrast zwischen hellem Beton mit lebhafter Oberfläche und den dunklen Stahloberflächen ist an der Kapelle wieder erlebbar
Holzraster
Auf der Gartenseite wurden die Holzraster erneuert, welche die Betonwaben zieren. Nach über 50 Jahren waren die Zierhölzer unrettbar verrottet. Eiermann hatte die Gitter als kompliziertes Steckwerk entwickelt, das ohne jede Schraube auskam.
Der individuelle Dreiklang aus Holz, Beton und den bunten Dickgläsern ist der gestalterische Höhepunkt, der den Raumeindruck in der Kapelle bestimmt.
Kapellenumgang
Der schmale Gartenumgang zwischen dem gläsernen Kapellenraum und der Umfassung wurde nach den Plänen Egon Eiermanns und verfügbaren Archivalien originalgetreu wiederhergestellt.
Japanische Vorbilder sollen Eiermann bei der Gestaltung aus runden Trittplatten, Kiesstreifen und begrüntem Boden inspiriert haben. Die zurückhaltende Akzentbepflanzung aus Rosen und Wein geht ebenfalls auf Egon Eiermann zurück und lässt den Blick auf das intensive Farbspiel der Betondickgläser frei.
Die unauffällig und neu eingebrachte automatisierte Bewässerungsanlage reduziert den Pflegeaufwand künftig erheblich.
Publikation
Egon Eiermann Kapelle der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche. Die Geschichte einer Instandsetzung (Buch)
Publikation
Egon Eiermann Kapelle der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Kirche. Die Geschichte einer Instandsetzung (Buch)
Herausgegeben von der Wüstenrot Stiftung, 216 Seiten, Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2018. ISBN: 978-3-933249-13-5
ZUM BUCHHerausgegeben von der Wüstenrot Stiftung, 216 Seiten, Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2018. ISBN: 978-3-933249-13-5
ZUM BUCH