Die Kirchen in Deutschland stehen vor großen Aufgaben. In vielen Gemeinden müssen Strategien gefunden werden, mit denen der eigene Gebäudebestand angesichts sinkender Gemeindegliederzahlen, veränderter Nutzungsanforderungen und hoher Kosten für Instandhaltung und Betrieb an die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Gemeindelebens angepasst werden kann. Oftmals scheint hierfür die Zusammenlegung von Gemeinden, die Schließung von Kirchengebäuden und häufig auch ein damit verbundener Verlust von Möglichkeiten der sozialen Gemeinwesenarbeit der einzig verbliebene Weg zu sein. Der Wettbewerb machte durch einen breiten, aktuellen Überblick deutlich, dass es andere, bessere Alternativen geben kann, wie Kirchengebäude und Gemeindezentren als öffentliches Bekenntnis und sichtbarer Teil kultureller Identität erhalten werden können.
Kirchengebäude und ihre Zukunft
Typ
Themengebiet
Auslobungsjahr
Einsendungen
Jury
Prof. Dr. Thomas Erne
Prof. Dr. Albert Gerhards
Prof. Susanne Gross
Dr. Regina Heyder
Prof. Dr. Leo Schmidt
Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert
Vorprüfung:
Mark Arnold, Arne Fentzloff, Dr. René Hartmann, Dr. Tino Mager
Preis
Zwei besonders herausragende Lösungen bewältigen die für viele Gemeinden zentrale Herausforderung, konfessionelle Sakralräume neu zu gestalten und neu zu interpretieren, um sie zukunftsfähig zu machen. Die beiden unterschiedlichen Strategien können als komplementäre Ansätze betrachtet werden. Die Jury hat deshalb nach mehreren Sitzungen einstimmig beschlossen, diese beiden Beispiele mit zwei gleichwertigen Preisen zu prämieren.
Katholische Heilig-Geist-Kirche der St. Martinus-Gemeinde, Olpe
Schilling Architekten (Köln)
Die Kirche hat im kirchlichen Kontext ein neues Profil erhalten. Das Programm einer „offenen Kirche“: Vergleichbar der Neuorientierung im Selbstverständnis und in den Aktivitäten der Gemeinde öffnet sich nun auch das Kirchengebäude zum Stadtraum und eine neu geschaffene, kommunikative Raumstruktur setzt diesen offenen Charakter gezielt bis in den zentralen Bereich der kirchlichen Liturgie nach innen fort. Anstelle des möglichen Abrisses und Identitätsverlustes ist es mit dem gewählten neuen Profil gelungen, das vorhandene Gebäude sowohl in pastoraler wie liturgischer Hinsicht als auch unter architektonischen Aspekten auf vorbildliche Weise zu perfektionieren.
Evangelischen Kirche, Bochum-Stahlhausen
Soan Architekten (Bochum)
Das neue Profil setzt sich aus verschiedenen Grundlagen zusammen, die außerhalb der Kirchengemeinde gefunden wurden. Gemeinsam mit IFAK e.V. (Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe – Migrationsarbeit) ist ein partnerschaftliches Pilotprojekt für ein attraktives Stadtteilzentrum entstanden, dessen sozialer Charakter in hohem Maße mit der konkreten städtischen Situation korrespondiert. Der im Jahr 2000 bereits einmal verkleinerte Kirchenraum konnte als regulärer Gottesdienstraum nicht mehr erhalten werden. Stattdessen erfolgte nun eine spirituelle Profilierung durch die Schaffung eines multireligiös offenen Andachtsraums, der als „Raum der Stille“ bezeichnet wird. Er überzeugt aufgrund seiner zentralen Lage im erweiterten Gebäudekomplex und seiner sensiblen Schwellengestaltung. Die christliche Motivation bleibt präsent, ohne sich aufzudrängen; dadurch kann dieser Raum Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung spirituelle Erfahrungen vermitteln.
AUSZEICHNUNGEN
Kolumbariumskirche Heilige Familie, Osnabrück
Klodwig & Partner Architekten (Münster)
Die Umwidmung als Kolumbarium ist eine Strategie zur Erhaltung von Kirchengebäuden, die bundesweit an Bedeutung gewinnt. Sie ermöglicht es einerseits, Kirchengebäude in ihrer Gestalt weitgehend zu erhalten, und reagiert andererseits auf das in vielen Gemeinden gewachsene Bedürfnis nach (neuen) Orten für eine Urnenbestattung. Die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück ist nach Auffassung der Jury in Gestaltung und Nutzung ein besonders gelungenes Beispiel für die mit dieser Strategie verbundenen Möglichkeiten, in dem sich die vorgegebene Verkleinerung des Gottesdienstraumes wie selbstverständlich mit der zusätzlichen neuen Nutzung als Kolumbarium verbindet.
Evangelische Philippuskirche, Mannheim
Architekturbüro Veit Ruser + Partner (Karlsruhe)
Die aus den 1960er Jahren stammende Kirche erhielt schon in ihrer ursprünglichen Form eine mehrfache Nutzung. Der gestalterisch überzeugende Umbau erlaubt nun ein noch einmal erweitertes und differenzierteres Nutzungskonzept. In hervorragender Weise ist es gelungen, den identitätsstiftenden Charakter des Kirchengebäudes zu erhalten und zugleich der Kirchengemeinde die für den weiteren Erhalt des Gebäudes dringend erforderlichen räumlichen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Anerkennungen
- Umbau der evangelischen Immanuelkirche in Kassel durch Atelier 30 Architekten GmbH (Kassel). Es ist gelungen, die besonderen, gestalterischen Qualitäten des Kirchengebäudes zu bewahren und im Inneren durch zwei neutrale und flexible Gruppenräume das räumliche Angebot zu ergänzen. Die in enger Abstimmung mit der Kirchengemeinde gefundene, in ihrer Klarheit überzeugende Lösung respektiert die vorhandenen Raumqualitäten und entwickelt sie in überzeugender Weise weiter.
- Neugestaltung der katholischen Kirche Maria – Hilfe der Christen in Kehl durch das erzbischöfliche Bauamt Freiburg, unter Mitwirkung des Künstlers Stefan Strumbel. Eine mutige, sehr stark künstlerisch geprägte Erneuerung in Verbindung mit einer geänderten liturgischen Ausrichtung führt im Inneren der Kirche zu einer veränderten, offenen Atmosphäre, die einen erweiterten Kreis an Kirchenbesuchern anspricht.
- Umbau der evangelischen Dornbuschkirche in Frankfurt durch Meixner Schlüter Wendt Architekten (Frankfurt). Neu entstandene räumliche und funktionale Qualitäten ermöglichen es, aus einem Rückbau einen Gewinn für die Kirchengemeinde zu realisieren. Das Ensemble aus Turm und Gemeindezentrum bleibt intakt und wird außen durch einen neuen öffentlichen Platz erweitert, der die Verbindung zwischen der Kirche und der Stadt stärkt.
- Umbau der evangelischen Christuskirche Bruchhof-Sanddorf durch die ARGE Bayer Uhrig + Modersohn & Freiesleben (Kaiserslautern). In eine kleine Kirche konnten durch eine ästhetisch prägnante, räumliche Neuorientierung wichtige Funktionen der Gemeindearbeit integriert werden. Entstanden ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie kluge Architektur auch mit bescheidenen Mitteln ein passgenaues Nutzungskonzept in überzeugender Qualität verwirklichen kann.
- Instandsetzung und Erhaltung der ehemaligen Rittergutskirche Kleinliebenau bei Schkeuditz durch Ursula Quester (Leipzig) und den Kultur- und Pilgerverein Kleinliebenau e. V. (Schkeuditz). Nach jahrelangem Leerstand des Kirchengebäudes ist es einer privaten Initiative mit großem Engagement gelungen, das baugeschichtliche Kleinod mit einem innovativen Konzept zu seiner Nutzung als Station eines Pilgerweges zu retten und seine zukünftige Erhaltung zu sichern.
Engere Wahl
- Johanneskirche, Altenbach (netzwerkarchitekten GmbH, Darmstadt)
- Grabeskirche St. Joseph, Aachen (Hahn Helten + Assoziierte GmbH, Aachen)
- Melanchthonkirche, Hannover (Dreibund Architekten BDA, Bochum)
- Christus-König-Kirche, Düsseldorf (Pinkarchitektur, Düsseldorf)
- Kloster St. Anton, München (hirner & riehl Architekten, München)
- Pfarrzentrum St. Maria, Neersen (Elmar Paul Sommer, Monschau)
- Kirche St. Hedwig, Frankfurt (PGS Projektmanagement GmbH)
- Kirche Winz-Baak (Soan Architekten, Bochum)
- St. Bernaduskirche, Oberhausen (zwo+ Architekten, Bochum)
- Schlosskirche, Colditz (Architekturbüro Fischer, Dresden)
- Simeonskirche, München (Robert Rechenauer Architekt BDA, München)
Publikation (PDF)
Kirchengebäude und ihre Zukunft. Sanierung - Umbau - Umnutzung (Download)
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Herausgegeben von der Wüstenrot Stiftung, Buch, 263 Seiten, Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, 2017.
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